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Schulfach Empathie

Für Respekt und Achtsamkeit

Schulfach Empathie

Die Dänen gelten seit langem als eines der glücklichsten Völker der Erde. Ob das vielleicht auch was mit der Schule zu tun hat? Seit vielen Jahren gibt es jedenfalls ein Schulfach namens Empathie, in dem das Zuhören und der gegenseitige Respekt von größter Bedeutung sind. Das dänische Konzept gilt als Erfolgsmodell und wird nach und nach auch in andere Länder exportiert – nach Frankreich zum Beispiel, aber auch nach Deutschland. 

Im Herbst letzten Jahres wird der Pariser Vorort Poissy von einem tragischen Ereignis erschüttert. Der 15-jährige Schüler Nicolas erhängte sich mit einem Kissenbezug an den Stäben seines Hochbetts. Vorangegangen waren monatelanges Mobbing und Schikanen durch seine Mitschüler. Er sei hässlich, wurde ihm gesagt, keiner liebe ihn, seine Mutter sei eine Schlampe. Der Junge brach zusammen.

 

Umdenken dringend nötig 

Viele hatten versagt, nicht nur die aggressiven Klassen­kameraden von Nicolas, sondern z.B. auch eine unsensible und überforderte Schulleitung. Probleme wie in Frankreich gibt es auch an anderen Orten und erzählen nicht zuletzt etwas vom wachsenden Einfluss sozialer Netz­werke. Hate Speech, Egoismus, Ausgrenzung und Gewalt verbreiten sich überall; Mitgefühl dagegen scheint kaum noch vorzukommen.

Nach dem Tod von Nicolas ging jedoch ein Ruck durch das Land. Die französische Präsidentengattin Brigitte ­Macron besuchte Nicolas’ Mutter; der Bildungsminister Gabriel Attal räumte schwere Fehler ein. Ein Umdenken sei dringend nötig. Die französische Regierung beschloss ein ganzes Bündel von Maßnahmen. Unter anderem ­wurde ein neues Schulfach eingeführt: Empathie. Attal war zuvor eigens nach Dänemark gereist, um sich vor Ort zu informieren.

 

„Eine andere Schule ist möglich“

In unserem skandinavischen Nachbarland steht Empathie schon seit 2005 auf dem Stundenplan, doch die Tradition für eine andere, achtsamere Pädagogik geht sogar bis ins 19. Jahrhundert zurück. Im Fach Empathie lernen die Kinder im Alter von 6 bis 16 Jahren, mit Gefühlen um­zugehen - ihren eigenen und denen ihrer Mitschüler. Mindestens eine Stunde pro Woche erzählen die Schülerinnen und Schüler von ihren Zweifeln und Nöten. Auch Konflikte kommen in der Stunde, die meistens „Klassens Tid“ (etwa: Zeit für die Klasse) genannt wird, ganz ­offen zur Sprache.

„Die Klasse versucht, alle Aspekte und Blickwinkel eines Streites zu berücksichtigen und gemeinsam eine Lösung zu finden“, sagt die Lehrerin Iben Sandahl. Die Probleme der Kinder werden als Teil einer größeren Gemeinschaft anerkannt und gehört. Und sie fügt hinzu: „Wenn man anerkannt wird, wird man zu jemandem.“ Sandahl erlebt die Klassens-Tid-Stunden als wöchentliches Highlight. Während die Kinder miteinander diskutieren, dürfen sie übrigens einen ganz besonderen Kuchen essen, den ­Klassens-Tid-Kuchen. Den haben die Schüler natürlich gemeinsam gebacken. Ziel des Unterrichts ist es, den Gruppenzusammenhalt zu stärken und Toleranz und Respekt zu fördern.

Die Psychologin Helle Jensen, die gemeinsam mit anderen Forschern die theoretische Basis für den Empathie-Unterricht gelegt hat, betont, dass der Lernerfolg am größten ist, wenn die Lehrkräfte anders auf die Kinder zugehen. Wichtig sei, dass die Pädagogen von vornherein eine ehrliche, respektvolle Beziehung zu den Schülern aufbauen, ohne dabei ihre Führung abzugeben. Das sei Unterricht abseits von hierarchischem Denken, aber auch eine Absage an das antiautoritäre Erziehungsideal. Helle Jensen hat mehrere Bücher verfasst, die unter anderem ganz praktische Tipps zur Steigerung von Achtsamkeit, Selbstgefühl, Konzentration und Empathie enthalten.
Sie ist überzeugt: „Eine andere Schule ist möglich!“

In Dänemark ist das Mobbing an den Schulen nach Einführung des Faches Empathie stark zurückgegangen. Die Kinder gehen mitfühlender miteinander um und sind sanfter geworden – vielleicht auch ein bisschen glücklicher. Möglicherweise trifft dies bald auch auf Grundschüler in Berlin zu, denn dort engagiert sich Helle Jensen noch bis August 2025 in dem Projekt „Empathie macht Schule“. Realistisches Ziel: ein besseres Miteinander im Klassenzimmer. 


"Wenn man anerkannt wird, wird man zu jemandem." – Iben Sandahl, dänische Lehrerin 

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