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Junge Menschen in der Schuldenfalle

Wenn das Leben ausser Kontrolle gerät

Wenn das Leben ausser Kontrolle gerät

Viele junge Menschen finden sich plötzlich in einem Strudel wieder, der nach unten zieht:
die monatlichen Ausgaben übersteigen das Einkommen beträchtlich, Verzweiflung macht sich breit. Es gibt aber Wege aus der Schuldenfalle.

 

Gerne hört man, dass junge Leute sich dem Konsumrausch hingeben und dabei jedes Maß verlieren. Teure Marken­klamotten, die angesagtesten Sneaker, ein schickes Auto – alles müsse so schnell wie möglich her. Aber Inge ­Brümmer, Leiterin der Schuldner- und Insolvenzberatung von Arbeiterwohlfahrt und DGB in München, sieht es ­anders. „Das ist einfach zu kurz gedacht. Die jungen Menschen stürzen sich nicht gewissenlos in die Krise. Überschuldung kann jeden treffen. Aber Menschen zwischen 18 und 25 Jahren sind besonders gefährdet.“

 

Warum geraten gerade junge Leute in die Schuldenfalle?

Inge Brümmer: In dem Alter sind manche Menschen psychisch noch nicht sehr stabil. Es fehlt auch oft an wichtigen Kenntnissen; die Finanzkompetenz ist mitunter kaum vorhanden. Wenn dann ein unerwartetes Lebensereignis eintritt, z. B. Arbeitslosigkeit oder der Verlust des Ausbildungsplatzes, können gerade in dieser Gruppe die Folgen schwerwiegend sein.

 

Die Arbeitslosigkeit gehört auch in anderen Alters­gruppen zu den Hauptursachen der Überschuldung.Das ist bei den jungen Erwachsenen also kaum anders?

Arbeitslosigkeit, die Kündigung des Ausbildungsvertrages, eine abgebrochene Weiterbildungsmaßnahme etc. sind wichtige Gründe. Daneben darf man nicht vergessen, dass man sich im Alter von 18, 19 oder 20 Jahren in einer Zeit des Umbruchs befindet. Junge Leute sind gerade mit der Schule fertig, möchten auf eigenen Beinen stehen, vielleicht die erste eigene Wohnung beziehen. Dazu kommen neue Freunde, eventuell neue Partnerschaften. Man braucht vielleicht Möbel, einen fahrbaren Untersatz, um zur Ausbildungsstelle zu kommen. Also nimmt man einen Kredit auf. Ganz wichtig auch: Die sozialen Beziehungen finden zu einem großen Teil digital statt. Vor 30, 40 Jahren hat man sich in der Disco getroffen; heute ist ein Smartphone unabdingbar, um mit Freunden in Kontakt zu bleiben. Da schließt man schnell mal einen Handy­vertrag ab, der oft eine Laufzeit von zwei Jahren hat. Fällt dann das Geld weg – z. B. eben bei Arbeitslosigkeit oder auch bei Krankheit – sitzt man in der Patsche. 

 

Was sind weitere Ursachen für Schulden, die nicht mehr zu kontrollieren sind?

Jeder Fall ist letztlich individuell. Aber es gibt Muster, die sich wiederholen. Wenn Frauen in jungen Jahren Mutter werden, die Partnerschaft in die Brüche geht – was in dem Alter immer mal passieren kann –, stehen sie plötzlich alleine da und können die Miete nicht mehr stemmen. Junge Väter wiederum müssen nach einer Trennung Unter­halt zahlen, obwohl sie noch kaum was verdienen. Das kann schon der Anfang einer schlechten Entwicklung sein. Und dann kommt es nicht selten vor, dass junge Menschen neben allgemein üblichen Verträgen auch unwissentlich Verbindlichkeiten verursachen, indem sie sich beruflich selbständig machen, ohne die dafür notwendigen Rahmenbedingungen zu kennen, wie z. B. die Pflicht zu Steuerabgaben und Krankenversicherung.

 

Freunde und Familie sind in so einer Situation auch nicht immer eine Hilfe?

Es gibt natürlich Eltern, denen das Schicksal ihrer Kinder nicht egal ist und die dann auch finanziell aushelfen. Aber manchmal ist auch das genaue Gegenteil der Fall. Wenn die Eltern nicht mehr kreditwürdig sind, lassen sich manche junge Leute aus Gutmütigkeit darauf ein, für sie einen Ratenvertrag abzuschließen, um den Eltern irgendeine Anschaffung zu ermöglichen. Oder sie lassen sich beschwatzen, für einen Kumpel per Vertrag ein Handy zu kaufen, mit ihrer Unterschrift. Wenn dieser Freund dann nicht zuverlässig ist und die vereinbarten monatlichen Beträge nicht liefert, hat der junge Mensch, der den Vertrag abgeschlossen hat, ein Riesenproblem. Viele junge Erwachsene wissen leider sehr wenig über Vertragsrecht. Auch wissen längst nicht alle, was Ratenzahlungen oder Zinsen sind bzw. was das genau bedeutet.

 

Die Prävention, also die Vorsorge, müsste wohl viel besser sein? Tut die Schule zu wenig?

Viele Schulen berücksichtigen das Thema durchaus; es gibt auch Lehrer, die sich wirklich engagieren. Aber insgesamt ist es doch eher nice to have. Finanzwissen und Vertragsrecht sind im Lehrplan kaum verpflichtend vorgesehen. Das müsste sich ändern.

 

Sind junge Menschen, die sich stark verschulden, allein für ihre Situation verantwortlich? Oder tragen z. B. Banken, die schnell Kredite gewähren, eine Mitschuld?

Die Banken würde ich jetzt gar nicht so stark hervorheben. Zum Beispiel ist es heute sehr einfach, online etwas zu kaufen. Da gibt es dann Zahlungsanbieter, die mit ­einer „problemlosen“ Ratenzahlung werben; das kann für junge Leute sehr verlockend sein. Oder um zum Thema Mobiltelefon zurückzukommen: die Mitarbeiter der Tele­kommunikationsfirmen arbeiten oft auf Provisionsbasis und wollen natürlich Verträge abschließen. Manche junge Erwachsene lassen sich dann dazu überreden, ein neues, leistungsstarkes Modell anzuschaffen, gelegentlich ohne abschätzen zu können, ob sie es finanzieren können. Für manche Menschen, z. B. Geflüchtete, ist ein Handy existentiell wichtig. Sie können aber vielleicht nicht genug Deutsch, um alle Vertragsdetails zu verstehen. Letztlich ist es unser ganzes Wirtschaftssystem, das den Einstieg in die Überschuldung erleichtert.

 

HOFFNUNG GIBT ES IMMER!

Im Jahr 2021 waren nach Angaben des Schuldneratlas, der von der Wirtschaftsauskunftei Creditreform herausgegeben wird, 6,16 Millionen Menschen in Deutschland überschuldet in dem Sinne, dass weder vorhandenes Vermögen noch zu erwartende Einnahmen die Verbindlichkeiten des Schuldners abdecken. Die Gruppe der überschuldeten Erwachsenen unter 30 beziffert der Schuldneratlas mit 796.000. Diese Zahl war in den letzten Jahren, auch coronabedingt, rückläufig. Allerdings, so gibt Inge Brümmer zu bedenken, ist die Zahl nur bedingt aussagekräftig. Wenn z.B. Eltern einspringen, werden diese überschuldeten Menschen oft gar nicht registriert. Sie selbst sieht einen nicht nachlassenden, großen Bedarf. Junge Leute, die sich an sie und ihre Kolleginnen wenden, müssen in der Regel sogar eine Wartezeit überbrücken. Anfangs wissen sie kaum, wo ihnen der Kopf steht, aber Inge Brümmer sagt: „Hoffnung gibt es immer! Wenn die jungen Erwachsenen bei uns auftauchen, ist der erste Schritt getan. Das verdient große Wertschätzung.“

 

Wie helfen Sie den Ratsuchenden?

Als erstes sorgen wir dafür, dass sie überhaupt wieder die Motivation zurückerlangen, sich um ihr eigenes Leben zu kümmern. Denn wenn sie weder ein noch aus wissen, dazu vielleicht nach mehrmaligem Schwarzfahren auch noch Probleme mit der Staatsanwaltschaft haben, verlieren sie fast jeden Mut.

 

Wie kommt die Hoffnung zurück?

Vor allem, indem wir ihnen Perspektiven aufzeigen. Wir stellen ihnen gerne die Frage: „Wie stellst du dir dein Leben in zehn Jahren vor?“ Wir skizzieren dann die Wege, dorthin zu kommen, z.B. mit einer neuen und passenderen Ausbildungsstelle. Manche Schulden kann man auch eine Zeitlang auf Eis legen. Wichtig ist zunächst, dass die jungen Leute Stabilität erlangen und allmählich so etwas wie einen nachhaltigen Lebensplan entwickeln.

 

Dieser Prozess kann sicher einige Zeit in Anspruch nehmen?

Ja, natürlich. Hier ist Geduld gefragt, die die jungen Schuldner zu Beginn oft nicht haben. Am liebsten wollen sie im Rekordtempo Geld verdienen und ihre Schulden abtragen. Sie finden das dringlicher, als eine Ausbildung abzuschließen. Aber es ist sehr viel erfolgversprechender, das Leben erst einmal auf eine gute Grundlage zu stellen.

 

Welche Schritte schlagen sie gemeinsam mit den Schuldnern konkret ein?

Es geht um vieles gleichzeitig, zum Beispiel sorgen wir rund um das Finanzwissen auch für eine gewisse Nachbildung. Dann ist ein wichtiger Schritt natürlich, sich einen Überblick zu verschaffen. Was ist an Schulden erkennbar? Die jungen Leute legen einen Ordner an, beginnen mit den Gläubigern Kontakt aufzunehmen. Bei niedrigen Forderungen erreichen sie vielleicht, dass auf einen Teil der zurückzuzahlenden Summe verzichtet wird. Daneben wird geschaut, wieviel Einkommen vorhanden ist. Die Existenzsicherung wird natürlich nicht vernachlässigt. Es geht Schritt für Schritt vorwärts. Bald sehen die Schuldner Ergebnisse; das motiviert zum Weitermachen. Bis hoffentlich zu einem guten Ende!

Premiumpartner

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